PersönlichkeitenDr. Alfred Ehrentreich

Dr. Alfred Ehrentreich - ein überzeugter Reformpädagoge
(1946 - 1962)

Als überzeugter Reformpädagoge prägte Dr. Alfred Ehrentreich von 1946 bis 1962 die Alte Landesschule und legte 1953 durch die Schulpartnerschaft mit dem Lycée Littré in Avranches den Grundstein zur deutsch-französischen Städtepartnerschaft. Alfred Ehrentreich war Mitbegründer der Korbacher Volkshochschule und Theaterwoche, Maler, Rezensent, Pianist, Buchautor, Organisator und Initiator von Musikveranstaltungen und Kunstausstellungen. Wie kaum ein anderer prägte er kulturell die Region.

Alfred Ehrentreich im Schulgarten
(Foto: H. Verchau)

Von der Reformpädagogik der 20er Jahre bestimmt, hat er das Gesicht der Alten Landes-schule ab 1946 entscheidend geprägt und sie im Sinne demokratischer Grundprinzi-pien umgestaltet. Gegenüber der "Paukschule" mit strenger Disziplin favorisierte er das Modell demokratischer Vermittlung unter Mitgestaltung und Selbstverantwortung der Schülerinnen und Schülern. Vielfältige Neuansätze, wie Theaterspiel, Förderung der musikalischen Fähigkeiten durch Chor- und Orchesterarbeit, die Einbeziehung von Tonfilmen in den Unterricht, die Gründung einer Schülerzeitung, die Förderung der Naturwissenschaften und Schulpartnerschaft waren Impulse, die das Schulleben bereicherten und bis heute nachwirken. Ehrentreich bemühte sich, hierarchische Strukturen abzubauen und ein Klima des Vertrauens und der Kameradschaft zwischen Lehrern und Schülern zu schaffen. Er sah, im Sinne der Jugendbewegung, die Schule als "Insel der Jugend", in der die Schüler im Mittelpunkt stehen und ernst genommen werden sollen. Sie sollten mit den Lehrern eine Gemeinschaft bilden, in der "Tadel" und "Arrest" nichts zu suchen hatten.

Alfred Ehrentreich war am 18. Juni 1896 in Potsdam geboren worden. Sein Vater war Wasserbauingenieur beim Maschinenwerk Sanssouci. Nach dem Studium der Fächer Englisch, Französisch, Germanistik und Philosophie in Freiburg und Berlin kam er in Kontakt mit der Lebensreformbewegung. Ab 1922 war er Lehrer bei der Freien Schulgemeinde Wickersdorf, einer der damals exponiertesten Stätten der Reform-pädagogik. Mitte der 1920 Jahre wechselte er zum Kaiser-Friedrich-Gymnasium (ab 1927 "Karl-Marx-Schule") in Berlin-Neukölln.

Schuldirektor Ehrentreich (vorne links), Ansprache beim Schulfest
(Foto: H. Vollbracht)

Ehrentreich erhielt von den Nationalsozialisten zunächst Berufsverbot, wurde nach einigen Monaten an eine Berliner Mädchenschule versetzt, an der er, in "innerer Emigration" lebend, weitgehend unbehelligt arbeiten konnte. Anschließend widmete er sich der Kinderlandverschickung, die sein späteres Wirken entscheidend prägen sollte.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wollte Ehrentreich eigentlich zurück nach Berlin. Doch verzichtete er darauf, weil seine alte Schule im sowjetischen Sektor lag. Durch seinen Schwiegervater, den Pädagogen Wilhelm Schwaner, kam er mit seiner Frau nach Korbach. Zunächst unterrichtete er auf Empfehlung des Schulrates Hans Habermann aus Korbach in Kassel. Nach kurzer Zeit wurde ihm die Leitung des Korbacher Gymnasiums der "Alten Landesschule" übertragen. Hier versuchte er, trotz erheblicher Schwierigkeiten Elemente der Reformpädagogik der Weimarer Republik wiederzubeleben. Er förderte den Schüleraustausch und führte Projekttage ein. In seinem langen Leben veröffentlichte Ehrentreich eine Vielzahl an Publikationen - von denen viele seiner pädagogischen Schriften heute wichtige Quellen zur historischen Bildungsforschung sind und zur Erforschung der Geschichte der Reformpädagogik dienen. Besonders hervorzuheben sind die Schriften "Pädagogische Odyssee. Im Wandel der Erziehungsformen" (1967), "50 Jahre erlebte Schulreform - Erfahrungen eines Berliner Pädagogen" (1985), "Dresdner Elegie. Schule im Krieg: Die Kinderlandverschickung im 3. Reich" (1985), "90 Tage in der Neuen Welt. Nicht nur eine pädagogische Reise" (1986) oder "Sanssouci. Märkische Baumeister und Fürsten. Die Entstehung des Parks und der Wasserkünste" (1989).

Auch zahlreiche Aufsätze und wissenschaftliche Arbeiten in Fachzeitschriften wie der "Zeitschrift für Pädagogik", "Pädagogik und Schulalltag", "Germanisch-Romanische Monatsschrift", "Archiv für das Studium der Neueren Sprachen und Literatur" oder "Castrum Peregrini" zeugen von seinem fundierten Wissen und seinen pädagogischen Erfahrungen.

Alfred Ehrentreich tanzend mit Haldis Verchau beim Schulfest
(Foto: H. Verchau)

Sein Engagement für die Völkerverständigung und schönen Künste wurden vielfältig gewürdigt: 1973 erhielt er die Ehrenplakette/Medaille der Stadt Avranches, 1980 die Ehrennadel der Stadt Korbach, 1984 das Bundesverdienstkreuz am Bande, 1988 die Jean-Monnet-Europa-Medaille und schließlich 1992 den "L´ Ordre du Chevalier des Palmes Academiques" und den Kulturpreis des Kreises Waldeck-Frankenberg. Alfred Ehrentreich verstarb am 11.4.1998 im Alter von 101 Jahren in Korbach.

© Dr. Marion Lilienthal

Auszug aus:

Lilienthal, Marion, Die Alte Landesschule in Korbach. Ein Kaleidoskop aus fünf Jahrhunderten (1579 - 1962),
Band 1, Seiten 294-296.

Quellen:

Ehrentreich, Alfred, 50 Jahre erlebte Schulreform - Erfahrungen eines Berliner Pädagogen, hrsg. von Wolfgang Keim (= Studien zur Bildungsreform, Bd. 11), Frankfurt a. M./Bern/New York 1985, S. 190-207.

Gespräch mit Swantje Kachur-Ehrentreich vom 15.08.2015.

HNA - Waldeckische Allgemeine vom 14.04.1998.

Waldeckische Landeszeitung vom 15.04.1998.